Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei Deckungsgleichheit von Kündigungsfrist und Krankheitsdauer: Einblicke aus dem Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 7. Mai 2024 (5 Sa 98/23)

Einführung

Die Beweislast und der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) sind häufig Gegenstand arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen. Besonders brisant wird dieses Thema, wenn eine AU genau die Dauer der Kündigungsfrist abdeckt. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Mecklenburg-Vorpommern vom 7. Mai 2024 (5 Sa 98/23) bietet in diesem Kontext wertvolle Einsichten. Es stellt klar, unter welchen Bedingungen der Beweiswert einer AU als erschüttert anzusehen ist und welche Anforderungen an die Darlegung und den Beweis einer tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit gestellt werden.

Der Sachverhalt

In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger, ein 24-jähriger Fleischer, seit September 2020 bei der Beklagten, einem Hersteller von Wurst- und Schinkenprodukten, angestellt. Nach einer Serie von Krankmeldungen im Jahr 2022 kündigte der Kläger am 9. Dezember 2022 sein Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 15. Januar 2023. Bereits am nächsten Tag wurde er mit den Diagnosen Anpassungsstörungen und Somatoforme Störung erneut krankgeschrieben, wobei die AU den Zeitraum bis zum Ende der Kündigungsfrist abdeckte. Der Kläger beanspruchte Entgeltfortzahlung für die Dauer der AU, was die Beklagte jedoch anzweifelte.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts und des LAG

Das Arbeitsgericht gab der Klage zunächst statt, da es davon überzeugt war, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich arbeitsunfähig war. Das LAG hingegen änderte dieses Urteil ab und wies die Klage ab.

Gründe für die Entscheidung des LAG

Das LAG stellte fest, dass der Kläger keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG über den 12. Dezember 2022 hinaus hatte. Dabei hob das Gericht besonders hervor, dass der Beweiswert einer AU regelmäßig erschüttert sei, wenn diese genau die Dauer der Kündigungsfrist abdeckt. In einem solchen Fall muss der Arbeitnehmer detailliert darlegen und beweisen, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen seine Arbeitsfähigkeit konkret beeinträchtigt haben und welche ärztlichen Maßnahmen oder Medikamente verordnet wurden.

Im vorliegenden Fall konnte der Kläger diese Anforderungen nicht erfüllen. Obwohl ihm Medikamente verschrieben und eine Überweisung zu einem Psychiater ausgestellt wurden, hatte er weder die Medikamente eingenommen noch den Psychiater aufgesucht. Dies weckte Zweifel an der behaupteten Arbeitsunfähigkeit, die der Kläger nicht ausräumen konnte.

Fazit und Bedeutung für die Praxis

Das Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern unterstreicht die strengen Anforderungen an den Beweiswert von AUs, die unmittelbar nach einer Kündigung eingereicht werden und genau die Kündigungsfrist abdecken. Arbeitnehmer müssen in solchen Fällen nicht nur die AU vorlegen, sondern auch detailliert die gesundheitlichen Gründe darlegen und nachweisen, welche die Arbeitsunfähigkeit verursachen. Arbeitgeber hingegen können berechtigte Zweifel an der AU hegen und gegebenenfalls die Zahlung der Entgeltfortzahlung verweigern, wenn der Beweiswert der AU erschüttert ist.

Empfehlungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber

Für Arbeitnehmer: Stellen Sie sicher, dass Sie ärztliche Anordnungen befolgen und die verordneten Medikamente einnehmen. Dokumentieren Sie Ihre gesundheitlichen Beschwerden und die ärztlichen Verordnungen sorgfältig, um im Streitfall ausreichend Beweise vorlegen zu können.

Für Arbeitgeber: Überprüfen Sie AUs, die unmittelbar nach einer Kündigung eingereicht werden und genau die Kündigungsfrist abdecken, besonders kritisch. Bestehen Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit, sollte die Zahlung der Entgeltfortzahlung unter Vorbehalt gestellt und gegebenenfalls rechtlich geprüft werden.

Das Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern bietet somit wichtige Orientierungshilfen und betont die Bedeutung einer sorgfältigen Prüfung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im gekündigten Arbeitsverhältnis.