Am 20. Mai 2022 fegte ein Sturm über Paderborn, der in einigen Stadtteilen eine Schneise der Verwüstung hinterließ. Viele Betriebe erlitten dabei solche Schäden, dass in den kommenden Wochen nicht mit einem normalen Geschäftsbetrieb zu rechnen ist. Hieraus ergeben sich für viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber Fragen rund um Lohn, Arbeitstätigkeit und Fortführung des Arbeitsverhältnisses. Einen ersten Überblick hierzu soll der vorliegende Ratgeber geben.
Muss der Lohn in der kommenden Zeit gezahlt werden, wenn durch den Sturm die Räumlichkeiten zerstört wurden?
Grundsätzlich muss kein Lohn gezahlt werden, wenn nicht gearbeitet wird. Jedoch hat der Gesetzgeber u.a. im § 615 BGB die Grundlage geschaffen, dass der Lohn weiter zu zahlen ist, wenn sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug befindet oder er das sogenannte Betriebsrisiko für den Arbeitsausfall trägt. Im Falle von höherer Gewalt und Naturkatastrophen wie zum Beispiel auch einem Sturm haben die Gerichte bereits mehrmals entschieden, dass solche Fälle dem sogenannten Betriebsrisiko zugerechnet werden. Daher haben Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf die Fortzahlung der Vergütung, wenn der Arbeitgeber auf Grund der Zerstörung oder Beeinträchtigung der Betriebsräumlichkeiten wegen des Sturms den Betrieb nicht aufrechterhalten kann und der Arbeitnehmer deswegen nicht arbeitet. Selbstverständlich gilt das nicht nur für Vollzeitmitarbeiter sondern auch für Teilzeitkräfte und natürlich auch Minijobber.
Generell möglich ist es selbstverständlich auch, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine einvernehmliche Lösung finden und beide Seiten sich auf eine vorübergehende Reduzierung des Arbeitsentgelts einigen. Zu beachten ist insoweit jedoch, dass hierdurch grundsätzlich kein Anspruch auf Arbeitslosengeld begründet wird und auch ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld nicht bestehen dürfte.
Sollte ein Arbeitgeber durch die Schäden und damit eine Betriebsunterbrechung in eine wirtschaftliche Schräglage geraten und Insolvenz anmelden müssen, sollten Arbeitnehmer daran denken, rechtzeitig einen Antrag auf Insolvenzgeld bei der Agentur für Arbeit zu stellen. Hierbei geltend Fristen, die bei einer Nichtbeachtung dazu führen, dass letztlich kein Insolvenzgeld gezahlt wird. Auch sollte darauf geachtet werden, wenn das Arbeitsentgelt nicht gezahlt wird, die Ansprüche geltend gemacht werden sollten, damit ggfls. bestehende Ausschlussfristen nicht die Ansprüche untergehen lassen. Ausschlussfristen sind häufig in Arbeitsverträgen und Tarifverträgen geregelt. Nach diesen kann ein Anspruch ausgeschlossen sein, wenn der Anspruch nicht binnen einer in der Vorschrift bestimmten Frist geltend gemacht wird. Auch die Form, wie der Anspruch geltend gemacht werden muss, ist meistens in den jeweiligen Regelungen festgehalten.
Sollten Arbeitgeber eine Betriebsunterbrechungsversicherung haben, kann er ggfls. die Lohnkosten von der Versicherung erstattet bekommen. Auch wenn derzeit sicherlich die Aufräumarbeiten im Vordergrund stehen, sollten Arbeitgeber ihrer insoweit bestehenden Obliegenheit nachkommen, den Schaden unverzüglich zu melden, damit es zu keinen Problemen mit der Erstattung der Löhne kommt. Darüber hinaus sollten die Sachschäden ebenfalls einer insoweit bestehenden Versicherung gemeldet werden.
Müssen Arbeitnehmer bei Aufräumarbeiten mithelfen?
Grundsätzlich müssen Arbeitnehmer nur die Arbeiten vornehmen, zu denen sie nach dem Arbeitsvertrag verpflichtet sind. Da Arbeitsverträge den Tätigkeitsbereich meistens nur recht oberflächig festlegen und häufig auch sogenannte Versetzungsklauseln, nach welchen andere Tätigkeiten im Rahmen der Zumutbarkeit zugewiesen werden dürfen, vorhanden sind, kann der Arbeitgeber ggfls. eine Weisung nach § 106 GewO nach sogenanntem billigem Ermessen vornehmen.
Hierbei kommt es letztlich auf die jeweilige vertragliche Tätigkeit des Mitarbeiters und den Aufgaben, die aktuell zugewiesen werden sollen, an und muss individuell bestimmt werden. Insoweit ist jedoch auf jeden Fall zu beachten, dass in den meisten Fällen, abgesehen von Mitarbeitern von Baufirmen, sicherlich keine mehrtätigen Arbeiten bzgl. des Abtransports von Bauschutt oder ähnlichem vorgenommen werden muss. Zwar können im Rahmen von ersten Sicherungsmaßnahmen im Notfall, wie bei Zerstörrungen der Räumlichkeiten durch den jetzigen Sturm, Arbeitsaufgaben zugewiesen werden, die in „normalen“ Zeiten nicht zugewiesen werden dürfen. Hierbei darf es sich aber nur um erste Notfallmaßnahmen handeln. Aber selbst hierbei ist zu beachten, dass sich Mitarbeiter grundsätzlich nicht selbst in Gefahr begeben müssen, wenn die Räumlichkeiten beispielsweise einsturzgefährdet sind oder ein behördliches Betretungsverbot ausgesprochen wurde. Ob eine solche Situation vorliegt, muss individuell geprüft werden.
Letztlich muss jeweils im Einzelfall bestimmt werden, wo die Grenzen der zulässigen Weisung bzgl. der Arbeitstätigkeit liegen. Eine allgemeine Antwort und generelle Bestimmung der Grenzen ist daher nicht möglich. So würde es sicherlich eher zulässig sein, eine Reinigungskraft eine einzelne defekte Fensterscheibe entsorgen zu lassen, als sie größere, schwere Platten wegtragen zu lassen, wenn sie für normale Reinigungsarbeiten eingestellt wurde. Für Bürokräfte sind sicherlich größere Aufräumarbeiten, die die Bausubstanz betreffen, nicht zuweisbar. Aufräumarbeiten bzgl. der einzelnen Büromaterialen werden aber sicherlich grundsätzlich zulässig sein. Entsprechendes gilt für Verkäufer, die auch zuvor bereits Waren in den Räumlichkeiten „bewegt“ haben.
Sollte ein Betriebsrat im Betrieb existieren, ist dieser zumindest nach den absolut ersten Notfallmaßnahmen bei personellen Maßnahmen zu beteiligen.
Generell möglich ist es selbstverständlich, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber insoweit eine einvernehmliche Lösung finden und beide Seiten sich auf eine vorübergehende andere Tätigkeit einigen.
Kann das Arbeitsverhältnis gekündigt werden, wenn nicht gearbeitet werden kann?
Sollte zunächst nicht weitergearbeitet werden können, wird sich in einigen Fällen die Frage stellen, ob ein Arbeitsverhältnis beendet werden kann. Hierbei muss grundsätzlich zunächst zwischen Betrieben, die mehr als 10 Vollzeitmitarbeiter im Sinne des § 23 KSchG beschäftigen, und kleineren Betrieben unterschieden werden. In kleineren Betrieben können Arbeitgeber letztlich ohne Grund unter Einhaltung der Kündigungsfrist Arbeitsverhältnisse kündigen. In größeren Betrieben besteht die Möglichkeit einer solchen Kündigung ohne Kündigungsgrund nur, wenn das Arbeitsverhältnis noch nicht länger als sechs Monate besteht. Ansonsten muss der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund im Sinne des § 1 KSchG haben. Sollte der Betrieb keine Arbeit auf Grund des Sturms haben, könnte ein sogenannter betriebsbedingter Kündigungsgrund vorliegen. Dieser setzt voraus, dass der Arbeitsplatz dauerhaft weggefallen ist. Ein solcher Fall wird nach dem jetzigen Sturm wohl nur dann vorliegen, wenn der Betrieb dauerhaft eingestellt werden soll. Soll der Betrieb in absehbarer Zeit, zum Beispiel nach einer Renovierung wieder fortgeführt werden, ist der Arbeitsplatz nicht dauerhaft entfallen, so dass eine Kündigung unzulässig wäre, da kein Kündigungsgrund vorliegt.
Bei befristet angestellten Mitarbeitern kann eine Kündigung grundsätzlich bis zum Ablauf der Befristung unzulässig sein, wenn im Arbeitsvertrag nicht die Möglichkeit einer Kündigung geregelt wurde.
Außerordentliche (fristlose) Kündigungen dürften vorliegend grundsätzlich überhaupt nicht zulässig sein.
Arbeitnehmer sollten insbesondere beachten, dass eine Regelung zwischen ihm und Arbeitgeber, nach welcher das Arbeitsverhältnis zunächst enden und zu einem späteren Zeitpunkt wieder neu begründet werden soll, zu erheblichen Nachteilen führen kann. Denn in diesen Fällen führt der Arbeitnehmer eine Arbeitslosigkeit selbst herbei, was voraussichtlich zu einer Sperrzeit bzgl. des Arbeitslosengeld führen wird. Das bedeutet, der Arbeitnehmer erhält über einen längeren Zeitraum (bis zu 3 Monate) kein Arbeitslosengeld.
Sollte die Beendigung des Arbeitsverhältnis im Raum stehen, sollten sich sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber individuell informieren, ob eine Kündigung im konkreten Fall zulässig ist.
Was ist bei unmittelbar durch den Sturm verursachten Personenschäden bei Arbeitnehmern zu beachten
Sollten Arbeitnehmer während der Arbeit durch den Sturm verletzt worden sein, dürfte es sich um einen Arbeitsunfall handeln. Es sollte daher (spätestens) eine Meldung innerhalb von drei Tagen bei der zuständigen Stelle (z.B. gesetzliche Unfallversicherung, Berufsgenossenschaft) erfolgen. Die Meldung muss grundsätzlich vom Arbeitgeber vorgenommen werden.